Karl Marx:
Die Deutsche Ideologie
Karl Marx
Die Empörung

Mit der Kritik der Gesellschaft ist die Kritik der alten, heiligen Welt beschlossen. Vermittelst der Empörung springen wir herüber in die neue egoistische Welt.

Was die Empörung überhaupt ist, haben wir bereits in der Logik gesehen; die Aufkündigung des Respekts gegen das Heilige. Hier indes nimmt sie außerdem noch einen besondern praktischen Charakter an.

etc. etc., p. 422 usf. Die bisherige Weise der Menschen, ihre vorgefundene Welt umzustürzen, mußte natürlich auch für heilig erklärt und eine "eigne" Art des Bruchs der vorhandenen Welt dagegen geltend gemacht werden.

Die Revolution "besteht in einer Umwälzung des bestehenden Zustandes oder status, des Staats oder der Gesellschaft, ist mithin eine politische oder soziale Tat". Die Empörung hat zwar eine Umwandlung der Zustände zur unvermeidlichen Folge geht aber nicht von ihr, sondern von der Unzufriedenheit der Menschen mit sich aus". Sie ist eine Erhebung der Einzelnen, ein Emporkommen, ohne Rücksicht auf die Einrichtungen, welche daraus entsprießen. Die Revolution zielte auf neue Einrichtungen: die Empörung führt dahin, Uns nicht mehr einrichten zu lassen, sondern Uns selbst einzurichten. Sie ist kein Kampf gegen das Bestehende, da, wenn sie gedeiht, das Bestehende von selbst zusammenstürzt, sie ist nur ein herausarbeiten Meiner aus dem Bestehenden. Verlasse Ich das Bestehende, so ist es tot und geht in Fäulnis über. Da nun nicht der Umsturz eines Bestehenden Mein Zweck ist, sondern Meine Erhebung darüber, so ist Meine Absicht und Tat keine politische oder soziale, sondern, als allein auf Mich sind Meine Eigenheit gerichtet, eine egoistische." p. 421, 422.

Les beaux esprits se rencontrent <Die schönen Geister finden sich zusammen>. Was die Stimme des Predigers in der Wüste verkündete, ist in Erfüllung gegangen. Der heillose Johannes Baptista "Stirner" hat im "Dr. Kuhlmann aus Holstein" seinen heiligen Messias gefunden. Man höre:

"Ihr solltet nicht niederreißen und zerstören, was Euch da im Wege stehet, sondern es umgehen und verlassen. Und wenn Ihr es umgangen und verlassen habt, dann höret es von selber auf, denn es findet keine Nahrung mehr. ("Das Reich des Geistes etc.", Genf 1845, p. 116.)

Die Revolution und die Stirnersche Empörung unterscheiden sich nicht, wie Stirner meint, dadurch, daß die Eine eine politische oder soziale Tat, die Andre eine egoistische Tat ist, sondern dadurch, daß die Eine eine Tat ist und die Andre keine. Der Unsinn seines ganzen Gegensatzes zeigt sich sogleich darin, daß er von "der Revolution" spricht, einer moralischen Person, die mit "dem Bestehenden", einer zweiten moralischen Person, zu kämpfen hat. Hätte Sankt Sancho die verschiedenen wirklichen Revolutionen und revolutionären Versuche durchgegangen, so hätte er vielleicht in ihnen selbst diejenigen Formen gefunden, die er bei der Erzeugung seiner ideologischen "Empörung" dunkel ahnte; Z.B bei den Korsikanern, Irländern, russischen Leibeigenen und überhaupt bei unzivilisierten Völkern. Hätte er sich ferner um die wirklichen, bei jeder Revolution "bestehenden" Individuen und ihre Verhältnisse gekümmert, statt sich mit dem reinen Ich und "dem Bestehenden", d.i. der Substanz, zu begnügen ( eine Phrase, zu deren Sturz keine Revolution, sondern nur ein fahrender Ritter wie Sankt Bruno nötig ist), so wäre er vielleicht zu der Einsicht gekommen, daß jede Revolution und ihre Resultate durch diese Verhältnisse, durch die Bedürfnisse, bedingt war und daß "die politische oder soziale Tat" keineswegs zu "der egoistischen Tat" im Gegensatz stand.

Welche tiefe Einsicht Sankt Sancho in "die Revolution" hat, zeigt sich in dem Ausspruch: "Die Empörung hat zwar eine Umwandlung der Zustände zur Folge, geht aber nicht von ihr aus." Dies, in der Antithese gesagt, impliziert, daß die Revolution "von einer Umwandlung der Zustände" ausgeht, d.h., daß die Revolution von der Revolution ausgeht. Dagegen "geht" die Empörung "von der Unzufriedenheit der Menschen mit sich aus". Diese "Unzufriedenheit mit sich" paßt vortrefflich zu den früheren Phrasen über die Eigenheit und den "mit sich einigen Egoisten", der stets "seinen eignen Weg" gehen kann, der stets Freude an sich erlebt und in jedem Augenblick das ist, was er sein kann. Die Unzufriedenheit mit sich ist entweder die Unzufriedenheit mit sich innerhalb eines gewissen Zustandes; durch den die ganze Persönlichkeit bedingt ist, z.B. die Unzufriedenheit mit sich als Arbeiter - oder die moralische Unzufriedenheit. Im ersten Falle also Unzufriedenheit zugleich und hauptsächlich mit den bestehenden Verhältnissen; im zweiten Falle ein ideologischer Ausdruck dieser Verhältnisse selbst, der keineswegs über sie herausgeht, sondern ganz zu ihnen gehört. Der erste Fall führt, wie Sancho glaubt, zur Revolution; es bleibt also nur der zweite, die moralische Unzufriedenheit mit sich, für die Empörung. "Das Bestehende" ist, wie wir wissen, "das Heilige"; die "Unzufriedenheit mit sich" reduziert sich also auf die moralische Unzufriedenheit mit sich als einem Heiligen, d.h. einem Gläubigen an das Heilige, das Bestehende. Es konnte nur einem malkontenten Schulmeister einfallen, sein Räsonnement über Revolution und Empörung auf Zufriedenheit und Unzufriedenheit zu basieren. Stimmungen, die ganz dem kleinbürgerlichen Kreise angehören, aus welchem Sankt Sancho, wie wir fortwährend sehen, seine Inspirationen schöpft.

Was das "Heraustreten aus dem Bestehenden" für einen Sinn hat, wissen wir schon. Es ist die alte Einbildung, daß der Staat von selbst zusammenfällt, sobald alle Mitglieder aus ihm heraustreten, und daß das Geld seine Geltung verliert, wenn sämtliche Arbeiter es anzunehmen verweigern. Schon in der hypothetischen Form dieses Satzes spricht sich die Phantasterei und Ohnmacht des frommen Wunsches aus. Es ist die alte Illusion, daß es nur vom guten Willen der Leute abhängt, die bestehenden Verhältnisse zu ändern, und daß die bestehenden Verhältnisse Ideen sind. Die Veränderung des Bewußtseins, abgetrennt von den Verhältnissen, wie sie von den Philosophen als Beruf, d.h. als Geschäft, betrieben wird, ist selbst ein Produkt der bestehenden Verhältnisse und gehört mit zu ihnen. Diese ideelle Erhebung über die Welt ist der ideologische Ausdruck der Ohnmacht der Philosophen gegenüber der Welt Ihre ideologischen Prahlereien werden jeden Tag durch die Praxis Lügen gestraft.

Jedenfalls hat Sancho sich nicht gegen seinen Zustand der Konfusion "empört", als er diese Zeilen schrieb. Ihm steht die "Umwandlung der Zustände" auf der einen und die "Menschen" auf der andern Seite, und beide Seiten sind ganz voneinander getrennt. Sancho denkt nicht im Entferntesten daran daß die "Zustände" von jeher die Zustände dieser Menschen waren und nie umgewandelt werden konnten, ohne daß die Menschen sich umwandeln, und wenn es einmal so sein soll, "mit sich" in den alten Zuständen unzufrieden" wurden. Er glaubt der Revolution den Todesstreich zu versetzen, wenn er sie auf neue Einrichtungen zielen läßt, während die Empörung dahin führt, uns nicht mehr einrichten zu lassen, sondern Uns selbst einzurichten. Aber schon darin, daß "Wir" "Uns" einrichten, schon darin, daß die Empörer "Wir" sind, liegt, daß der Einzelne sich trotz alles Sanchoschen Widerwillens" von den "Wir" "einrichten lassen" muß und so Revolution und Empörung sich nur dadurch unterscheiden, daß man in der einen dies weiß und in der andern sich Illusionen macht. Dann läßt Sancho es hypothetisch, ob die Empörung "gedeiht" oder nicht. Wie sie nicht "gedeihen" soll, ist nicht abzusehen, und wie sie gedeihen soll, noch viel weniger, da jeder der Empörer nur seinen eignen Weg geht; es müßten denn profane Verhältnisse dazwischentreten, die den Empörern die Notwendigkeit einer gemeinsamen Tat zeigten, einer Tat, die "eine politische oder soziale" wäre, gleichviel, ob sie von egoistischen Motiven ausginge oder nicht. Eine fernere "lumpige Distinktion", die wieder auf der Konfusion beruht, macht Sancho zwischen "Umstürzen" des Bestehenden und "Erhebung" darüber, als ob er nicht im Umstürzen sich darüber erhebe und im Erheben darüber es umstürze, sei es auch nur insoweit, als es an ihm selbst Bestand hat. Übrigens ist weder mit dem "Umstürzen" schlechthin noch mit dem "Sich-Erheben" schlechthin etwas gesagt; daß das Sich-Erheben ebenfalls in der Revolution vorkommt, kann Sancho daraus abnehmen, daß das "Levons-nous !" in der französischen Revolution ein bekanntes Stichwort war.

"Einrichtungen zu machen, gebietet (!) "die Revolution, sich auf- oder emporzurichten, heischt die Empörung. Welche Verfassung zu wählen sei, beschäftigte die revolutionären Köpfe, und von Verfassungskämpfen und Verfassungsfragen sprudelt die ganze politische Periode, wie auch die sozialen Talente an gesellschaftlichen Einrichtungen (Phalansterien u. dergl.) ungemein erfinderisch waren. Verfassungslos zu werden, bestrebt sich der Empörer." p. 422.

Daß die französische Revolution Einrichtungen zur Folge hatte, ist ein Faktum; daß Empörung von empor herkommt, ist auch ein Faktum; daß man in der Revolution und später um Verfassungen gekämpft hat, desgleichen; daß verschiedene soziale Systeme entworfen worden sind, ebenfalls; nicht minder, daß Proudhon von Anarchie gesprochen hat. Aus diesen fünf Fakten braut sich Sancho seinen obigen Satz zusammen. Aus dem Faktum, daß die französische Revolution zu "Einrichtungen" geführt hat, schließt Sancho, daß die Revolution dies "gebiete". Daraus, daß die politische Revolution eine politische war, in der die soziale Umwälzung zugleich einen offiziellen Ausdruck als Verfassungskämpfe erhielt, entnimmt Sancho, getreu seinem Geschichtsmakler, daß man sich in ihr um die beste Verfassung gestritten habe. An diese Entdeckung knüpft er durch ein "Wie auch" eine Erwähnung der sozialen Systeme. In der Epoche der Bourgeoisie beschäftigte man sich mit Verfassungsfragen, "wie auch" verschiedene soziale Systeme neuerdings gemacht worden sind. Dies ist der Zusammenhang des obigen Satzes.

Daß die bisherigen Revolutionen innerhalb der Teilung der Arbeit zu neuen politischen Einrichtungen führen mußten, geht aus dem oben gegen Feuerbach Gesagten hervor; daß die kommunistische Revolution, die die Teilung der Arbeit aufhebt, die politischen Einrichtungen schließlich beseitigt, geht ebenfalls daraus hervor; und daß die kommunistische Revolution sich nicht nach den "gesellschaftlichen Einrichtungen erfinderischer sozialer Talente" richten wird, sondern nach den Produktivkräften, geht endlich auch daraus hervor.

Aber "verfassungslos zu werden, bestrebt sich der Empörer"! Er, der "geborne Freie", der von vornherein Alles los ist, bestrebt sich am Ende der Tage, die Verfassung loszuwerden.

Es ist noch zu bemerken, daß zur Entstehung der Sanchoschen "Empörung allerlei frühere Illusionen unsres Bonhomme beigetragen haben. So u.a. der Glaube, die Individuen, die eine Revolution machen, seien durch ein ideelles Band zusammengehalten, und ihre "Schilderhebung" beschränke sich darauf, einen neuen Begriff, fixe Idee, Spuk, Gespenst - das Heilige auf den Schild zu heben. Sancho läßt sie sich dies ideelle Band aus dem Kopfe schlagen, wodurch sie in seiner Vorstellung zu einer regellosen Rotte werden, die sich nur noch "empören" kann. Zudem hat er gehört, daß die Konkurrenz der Krieg Aller gegen Alle ist, und dieser Satz, vermengt mit seiner entheiligten Revolution, bildet den Hauptfaktor seiner "Empörung".

"Indem Ich zu größerer Verdeutlichung auf einen Vergleich sinne, fällt Mir wider Erwarten die Stiftung des Christentums ein." p. 423. "Christus", erfahren wir hier, "war kein Revolutionär, sondern ein Empörer, der sich emporrichtete. Darum galt es ihm auch allein um ein: 'Seid klug wie die Schlangen.'" (ibid.)

Um dem "Erwarten" und dem "Allein" Sanchos zu entsprechen, muß die letzte Hälfte des eben zitierten Bibelspruchs (Matth[äi] 10, 16): "und ohne Falsch wie die Tauben" nicht existieren. Christus muß hier zum zweiten Male als historische Person figurieren, um dieselbe Rolle zu spielen wie oben die Mongolen und Neger. Man weiß wieder nicht, soll Christus die Empörung oder soll die Empörung Christus verdeutlichen. Die christlich-germanische Leichtgläubigkeit unsres Heiligen konzentriert sich in dem Satze, daß Christus "die Lebensquellen der ganzen heidnischen Welt abgrub, mit welchen der bestehende Staat ohnehin" (soll heißen: ohne ihn) "verwelken mußte". p. 424. Welke Kanzelblume! Siehe oben "die Alten". Im übrigen credo ut intelligam <ich glaube, damit ich verstehe>, oder damit Ich "einen Vergleich zur Verdeutlichung" finde.

Wir haben an zahllosen Exempeln gesehen, wie unsrem Heiligen überall nichts als die heilige Geschichte einfällt, und zwar an solchen Stellen, wo sie nur dem Leser "wider Erwarten" kommt, "Wider Erwarten" fällt sie ihm sogar im Kommentar wieder ein, wo Sancho p. 154 "die jüdischen Rezensenten" im alten Jerusalem der christlichen Definition "Gott ist die Liebe" gegenüber ausrufen läßt: "Da seht Ihr, daß es ein heidnischer Gott ist, der von den Christen verkündet wird; denn ist Gott die Liebe, so ist er der Gott Amor, der Liebesgott! - "Wider Erwarten" ist aber das Neue Testament griechisch geschrieben, und die christliche "Definition" lautet: o deoz agaph estin <Gott ist die Liebe>1. Joh[annis] 4, 16; während "der Gott Amor, der Liebesgott" Erox heißt. Wie also die "jüdischen Rezensenten" die Verwandlung von agaph <(christliche) Liebe> in etox <(geschlechtliche) Liebe> zustande brachten, darüber wird Sancho noch Aufschluß zu geben haben. An dieser Stelle des Kommentars wird nämlich Christus, ebenfalls "zur Verdeutlichung", mit Sancho verglichen; wobei allerdings zugegeben werden muß, daß Beide die frappanteste Ähnlichkeit miteinander haben, Beide "beleibte Wesen" sind und wenigstens der lachende Erbe an ihre wechselseitige Existenz resp. Einzigkeit glaubt. Daß Sancho der moderne Christus ist, auf diese seine "fixe Idee" "zielt" bereits die ganze Geschichtskonstruktion.

Die Philosophie der Empörung, die uns soeben in schlechten Antithesen und welken Redeblumen vorgetragen wurde, ist in letzter Instanz nichts als eine bramarbasierende Apologie der Parvenuwirtschaft (Parvenu, Emporkömmling, Emporgekommener, Empörer). Jeder Empörer hat bei seiner ",egoistischen Tat" ein spezielles Bestehende sich gegenüber, worüber er sich zu erheben strebt, unbekümmert um die allgemeinen Verhältnisse. Er sucht das Bestehende nur, insoweit es eine Fessel ist, loszuwerden, im Übrigen dagegen sucht er es sich vielmehr anzueignen. Der Weber, der zum Fabrikanten "emporkommt", wird dadurch seinen Webstuhl los und verläßt ihn; im übrigen geht die Welt ihren Gang fort, und unser "gedeihender" Empörer stellt an die Andern nur die heuchlerische moralische Forderung, auch Parvenus zu werden wie er (Note 71). So verlaufen sich alle kriegerischen Rodomontaden Stirners in moralische Schlußfolgerungen aus Gellerts Fabeln und spekulative Interpretationen der bürgerlichen Misere.

Wir haben bisher gesehen, daß die Empörung Alles, nur keine Tat ist. p. 342 erfahren wir, daß das Verfahren des Zugreifens nicht verächtlich sei, sondern die reine Tal des mit sich einigen Egoisten bekunde". Soll wohl heißen: der miteinander einigen Egoisten, da sonst das Zugreifen auf das unzivilisierte "Verfahren" der Diebe oder das zivilisierte der Bourgeois hinausläuft und im ersten Falle nicht gedeiht, im zweiten Falle keine "Empörung" ist. Zu bemerken ist, daß dem mit sich einigen Egoisten, der Nichts tut, hier die "reine" Tat entspricht, eine Tat, die allerdings von einem so tatlosen Individuum allein zu erwarten stand.

Nebenbei erfahren wir, was den Pöbel geschaffen hat, und wir können im Voraus wissen, daß es wieder eine "Satzung" und der Glaube an diese Satzung, an das Heilige, ist, der hier zur Abwechslung als Sündenbewußtsein auftritt: "Nur daß das Zugreifen Sünde, Verbrechen ist, nur diese Satzung schafft einen Pöbel ... das alte Sündenbewußtsein trägt allein die Schuld." p. 342. Der Glaube, daß das Bewußtsein an Allem schuld ist, ist seine Satzung, die ihn zum Empörer und den Pöbel zum Sünder macht.

Im Gegensatz zu diesem Sündenbewußtsein feuert der Egoist sich, resp. den Pöbel, zum Zugreifen an wie folgt:

"Sage ich Mir: wohin Meine Gewalt langt, das ist Mein Eigentum, und nehme Ich Alles als Eigentum in Anspruch, was zu erreichen Ich Mich stark genug fühle etc." p. 340.

Sankt Sancho sagt sich also, daß er sich etwas sagen will, fordert sich auf, zu haben, was er hat, und drückt sein wirkliches Verhältnis als ein Verhältnis der Gewalt aus, eine Paraphrase, die überhaupt das Geheimnis aller seiner Renommagen ist. (Siehe Logik.) Dann unterscheidet er, der jeden Augenblick ist, was er sein kann, also auch hat, was er haben kann, sein realisiertes, wirkliches Eigentum, das er auf Kapitalkonto genießt, von seinem möglichen Eigentum, seinem unrealisierten "Gefühl der Stärke", das er sich auf Gewinn- und Verlustkonto gutschreibt. Beitrag zur Buchführung über das Eigentum im außergewöhnlichen Verstande.

Was das feierliche "Sagen" zu bedeuten hat, verrät Sancho an einer bereits angeführten Stelle: "Sage Ich Mir ... so ist das eigentlich auch leeres Gerede."

Er fährt darin fort: "Der Egoismus" sagt "dem besitzlosen Pöbel", um ihn "auszurotten": "Greife zu und nimm, was Du brauchst!" p. 341. Wie "leer" dies "Gerede" ist, sieht man gleich an dem folgenden Beispiel. "In dem Vermögen des Bankiers sehe Ich so wenig etwas Fremdes als Napoleon in Ländern der Könige: Wir" (das - "Ich" verwandelt sich plötzlich in "Wir") "tragen keine Scheu, es zu erobern, und sehen Uns auch nach den Mitteln dazu um. Wir streifen ihm also den Geist der Fremdheit ab, vor dem Wir Uns gefürchtet hatten." p. 369.

Wie wenig Sancho dem Vermögen des Bankiers "den Geist der Fremdheit abgestreift" hat, beweist er sogleich mit seinem wohlmeinenden Vorschlag an den Pöbel, es durch Zugreifen zu "erobern". "Er greife zu und sehe, was er in der Hand behält!" Nicht das Vermögen des Bankiers, sondern nutzloses Papier, den "Leichnam" dieses Vermögens, der ebensowenig ein Vermögen ist, "als ein toter Hund noch ein Hund ist". Das Vermögen des Bankiers ist nur innerhalb der bestehenden Produktions- und Verkehrsverhältnisse ein Vermögen und kann nur innerhalb der Bedingungen dieser Verhältnisse und mit den Mitteln, die ihnen gelten, "erobert" werden. Und wenn etwa Sancho sich zu anderm Vermögen wenden sollte, so dürfte er finden, daß es damit nicht besser aussieht. So daß die "reine Tat des mit sich einigen Egoisten" schließlich auf ein höchst schmutziges Mißverständnis hinausläuft. "So weit kommt man mit dem Spuk" des Heiligen.

Nachdem nun Sancho sich gesagt hat, was er sich sagen wollte, läßt er den empörten Pöbel sagen, was er ihm vorgesagt hat. Er hat nämlich für den Fall einer Empörung eine Proklamation nebst Gebrauchsanweisung verfertigt, die in allen Dorfkneipen aufgelegt und auf dem Lande verteilt werden soll. Sie macht Anspruch auf Insertion in den "Hinkenden Botten" und den herzoglich nassauischen Landeskalender. Einstweilen beschränken sich Sanchos tendances incendiaires <aufrührerische Bestrebungen> auf das platte Land, auf die Propaganda unter den Ackerknechten und Viehmägden mit Ausschluß der Städte, was ein neuer Beweis ist, wie sehr er der großen Industrie "den Geist der Fremdheit abgestreift hat". Inzwischen wollen wir das vorliegende wertvolle Dokument, das nicht verlorengehen darf, möglichst ausführlich mitteilen, um "soviel an Uns ist, zur Verbreitung eines wohlverdienten Ruhmes beizutragen". (Wig[and,] p. 191.)

Die Proklamation steht Seite 358 u.f. und beginnt wie folgt:

"Wodurch ist denn Euer Eigentum sicher, Ihr Bevorzugten? ... Dadurch, daß Wir Uns des Eingriffs enthalten, mithin durch Unsern Schutz ... Dadurch, daß Ihr Uns Gewalt antut."

Erst dadurch, daß wir uns des Eingriffs enthalten, d.h. dadurch, daß wir uns selbst Gewalt antun, dann dadurch, daß Ihr uns Gewalt antut. Cela va à merveille <Das geht wunderschön>. Weiter.

"Wollt Ihr unsren Respekt, so kauft ihn für den Uns genehmen Preis ... Wir wollen nur Preiswürdigkeit."

Erst wollen die "Empörer" ihren Respekt um den ihnen "genehmen Preis" verschachern, nachher machen sie die "Preiswürdigkeit" zum Kriterium des Preises. Erst ein willkürlicher, dann ein durch kommerzielle Gesetze, durch die Produktionskosten und das Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr, unabhängig von der Willkür, bestimmter Preis.

"Wir wollen Euer Eigentum Euch lassen, wenn Ihr dies Lassen gehörig aufwiegt ... Ihr werdet über Gewalt schreien, wenn Wir zulangen ... ohne Gewalt bekommen Wir sie nicht" (nämlich die Austern der Bevorzugten) ... "Wir wollen Euch Nichts, gar Nichts nehmen."

Erst "lassen" wir's Euch, dann nehmen wir's Euch und müssen "Gewalt" anwenden, und endlich wollen wir Euch doch lieber Nichts nehmen. Wir lassen es Euch in dem Falle, wo Ihr selbst davon ablaßt; in einem lichten Augenblick, dem einzigen, den Wir haben, sehen wir allerdings ein, daß dies "Lassen ein "Zulangen" und "Gewalt"-Anwenden ist, aber man kann uns dennoch schließlich nicht vorwerfen, daß wir Euch irgend etwas "nehmen". Wobei es sein Bewenden hat.

"Wir plagen Uns zwölf Stunden im Schweiße Unsres Angesichts, und Ihr bietet Uns dafür ein paar Groschen. So nehmt denn auch für Eure Arbeit ein Gleiches ... Nichts von Gleichheit!" Die "empörten" Ackerknechte beweisen sich als echte Stirnersche "Geschöpfe".

"Mögt Ihr das nicht? Ihr wähnt, Unsre Arbeit sei reichlich mit jenem Lohne bezahlt, die Eure dagegen eines Lohnes von vielen Tausenden wert. Schlüget Ihr aber die Eurige nicht so hoch an und ließet Uns die Unsrige besser verwerten, so würden Wir erforderlichenfalls wohl noch wichtigere zustande bringen, als Ihr für die vielen tausend Taler, und bekämet Ihr nur einen Lohn wie Wir, Ihr würdet bald fleißiger werden, um mehr zu erhalten. Leistet Ihr etwas, was Uns zehn- und hundertmal mehr wert scheint als Unsre eigne Arbeit, ei" (ei du frommer und getreuer Knecht!), "so sollt Ihr auch hundertmal mehr dafür bekommen; Wir denken Euch dagegen auch Dinge herzustellen, die Ihr Uns höher als mit dem gewöhnlichen Taglohn verwerten werdet."

Zuerst klagen die Empörer, ihre Arbeit werde zu niedrig bezahlt. Am Ende versprechen sie aber, erst bei höherem Taglohn Arbeit zu liefern, die "höher als mit dem gewöhnlichen Taglohn" zu verwerten ist. Dann glauben sie, sie würden außerordentliche Dinge leisten, wenn sie nur erst besseren Lohn bekämen, während sie zu gleicher Zeit vom Kapitalisten erst dann außerordentliche Leistungen erwarten, wenn sein "Lohn" auf das Niveau des ihrigen herabgedrückt ist. Endlich, nachdem sie das ökonomische Kunststück fertiggebracht haben, den Profit, diese notwendige Form des Kapitals, ohne welchen sie sowohl wie der Kapitalist zugrunde gehen würden - den Profit in Arbeitslohn zu verwandeln, vollbringen sie das Wunder, "hundertmal mehr" zu zahlen "als ihre eigne Arbeit", d.h. hundertmal mehr als sie verdienen. "Dies ist der Sinn" des obigen Satzes, wenn Stirner "meint, was er sagt . Hat er aber nur einen stilistischen Fehler begangen, hat er die Empörer als Gesamtheit hundertmal mehr offrieren lassen wollen, als Jeder von ihnen verdient, so läßt er sie dem Kapitalisten nur Das anbieten, was jeder Kapitalist heutzutage bereits hat. Daß die Arbeit des Kapitalisten in Verbindung mit seinem Kapital zehn- resp. hundertmal mehr wert ist als die eines einzelnen bloßen Arbeiters, ist klar. Sancho läßt also in diesem Falle, wie immer, Alles beim Alten.

"Wir wollen schon miteinander fertig werden, wenn Wir nur erst dahin übereingekommen sind, daß Keiner mehr dem Andern etwas zu schenken braucht. Dann gehn Wir wohl gar selbst so weit, daß Wir selbst den Krüppeln und Greisen und Kranken einen angemessenen Preis dafür bezahlen, daß sie nicht aus Hunger und Not von Uns scheiden; denn wollen Wir, daß sie leben, so geziemt sich's auch, daß Wir die Erfüllung unseres Willens erkaufen. Ich sage erkaufen, meine also kein elendes Almosen."

Diese sentimentale Episode von den Krüppeln etc. soll beweisen, daß Sanchos empörte Ackerknechte bereits zu jener Höhe des bürgerlichen Bewußtseins "emporgekommen" sind, auf der sie nichts schenken und nichts geschenkt haben wollen und auf der sie glauben, in einem Verhältnis sei die Würde und das Interesse beider Teile gesichert, sobald es in einen Kauf verwandelt sei. –

Auf diese donnernde Proklamation des in Sanchos Einbildung empörten Volks folgt die Gebrauchsanweisung in Form eines Dialogs zwischen dem Gutsbesitzer und seinen Ackerknechten, wobei sich diesmal der Herr wie Szeliga und die Knechte wie Stirner gebärden. In dieser Gebrauchsanweisung werden die englischen Strikes und französischen Arbeiterkoalitionen a priori berlinisch konstruiert.

Der Wortführer der Ackerknechte. "Was hast Du denn?"

Der Gutsbesitzer. "Ich habe ein Gut von tausend Morgen."

Der Wortführer. "Und Ich bin Dein Ackerknecht und werde Dir Deinen Acker hinfort nur für einen Taler Taglohn bestellen."

Der Gutsbesitzer. "Dann nehme Ich einen Andern."

Der Wortführer. "Du findest keinen, denn Wir Ackersknechte tun's nicht mehr anders, und wenn Einer sich meldet, der weniger nimmt, so hüte er sich vor Uns. Da ist die Hausmagd, die fordert jetzt auch so viel, und Du findest keine mehr unter diesem Preise."

Der Gutsbesitzer. "Ei, so muß ich zugrunde gehen!"

Die Ackerknechte im Chorus. "Nicht so hastig! Soviel wie Wir wirst Du wohl einnehmen. Und wäre es nicht so, so lassen Wir so viel ab, daß Du wie Wir zu leben hast - Nichts von Gleichheit!"

Der Gutsbesitzer. "Ich bin aber besser zu leben gewohnt!"

Die Ackerknechte. "Dagegen haben Wir nichts, aber es ist nicht Unsre Sorge; kannst Du mehr erübrigen, immerhin. Sollen Wir Uns unterm Preise vermieten, damit Du wohlleben kannst?"

Der Gutsbesitzer. "Aber Ihr ungebildeten Leute braucht doch nicht so viel!"

Die Ackerknechte. "Nun, Wir nehmen etwas mehr, damit Wir damit die Bildung, die Wir etwa brauchen, Uns verschaffen können."

Der Gutsbesitzer. "Aber wenn Ihr so die Reichen herunterbringt, wer soll dann noch die Künste und Wissenschaften unterstützen?"

Die Ackerknechte. "I nun, die Menge muß es bringen; Wir schießen zusammen, das gibt ein artiges Sümmchen, Ihr Reichen kauft ohnehin jetzt nur die abgeschmacktesten Bücher und die weinerlichen Muttergottesbilder oder ein Paar flinke Tänzerbeine."

Der Gutsbesitzer. "O die unselige Gleichheit!

Die Ackerknechte: "Nein, mein bester alter Herr, Nichts von Gleichheit. Wir wollen nur gelten, was Wir wert sind, und wenn Ihr mehr seid, da sollt Ihr immerhin auch mehr gelten. Wir wollen nur Preiswürdigkeit und denken des Preises, den Ihr zahlen werdet, Uns würdig zu zeigen."

Am Schlusse dieses dramatischen Meisterwerks gesteht Sancho, daß "die Einmütigkeit der Ackerknechte" allerdings "erfordert" werde. Wie diese zustande kommt, erfahren wir nicht. Was wir erfahren, ist, daß die Ackerknechte nicht beabsichtigen, die bestehenden Verhältnisse der Produktion und des Verkehrs irgendwie zu ändern, sondern bloß dem Gutsbesitzer soviel abzuzwingen, als er mehr ausgibt als sie. Daß diese Differenz der Dépensen <Ausgaben>, auf die Masse der Proletarier verteilt, jedem Einzelnen nur eine Bagatelle abwerfen und seine Lage nicht im Mindesten verbessern würde, das ist unsrem wohlmeinenden Bonhomme gleichgültig. Welcher Stufe der Agrikultur diese heroischen Ackerknechte angehören, zeigt sich gleich nach dem Schlusse des Dramas, wo sie sich in "Hausknechte" verwandeln. Sie leben also unter einem Patriarchat, in dem die Teilung der Arbeit noch sehr unentwickelt ist, in dem übrigens die ganze Verschwörung dadurch "ihr letztes Absehen erreichen" muß, daß der Gutsherr den Wortführer in die Scheune führt und ihm einige Hiebe aufzählt, während in zivilisierteren Ländern der Kapitalist die Sache dadurch beendigt, daß er die Arbeit einige Zeit einstellt und die Arbeiter "spielen gehen" läßt. Wie praktisch überhaupt Sancho bei der ganzen Anlage seines Kunstwerks zu Werke geht, wie sehr er sich innerhalb der Grenzen der Wahrscheinlichkeit hält, geht außer dem sonderbaren Einfall, einen Turnout <Arbeitseinstellung> von Ackerknechten zustande bringen zu wollen, namentlich aus der Koalition der "Hausmägde" hervor. Und welch eine Gemütlichkeit, zu glauben, der Kornpreis auf dem Weltmarkte werde sich nach den Lohnforderungen dieser hinterpommerschen Ackerknechte richten! statt nach dem Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr! Einen wahren Knalleffekt macht der überraschende Exkurs der Ackerknechte über die Literatur, die letzte Gemäldeausstellung und die renommierte Tänzerin des Tages, überraschend selbst noch nach der unerwarteten Frage des Gutsherrn wegen Kunst und Wissenschaft. Die Leute werden ganz freundschaftlich, sowie sie auf dies literarische Thema kommen, und der bedrängte Gutsherr vergißt selbst für einen Augenblick seinen drohenden Ruin, um sein Dévoûment <Aufopferung, Hingabe> für Kunst und Wissenschaft an den Tag zu legen. Schließlich versichern ihn dann auch die Empörer ihrer Biederkeit und geben ihm die beruhigende Erklärung, daß sie weder vom leidigen Interesse noch von subversiven Tendenzen getrieben werden, sondern von den reinsten moralischen Motiven. Sie wollen nur Preiswürdigkeit und versprechen auf Ehre und Gewissen, sich des höheren Preises würdig zu machen. Die ganze Sache hat nur den Zweck, Jedem das Seine, seinen redlichen und billigen Verdienst, "redlich erarbeiteten Genuß" zu sichern. Daß dieser Preis von der Stellung des Arbeitsmarkts abhängt und nicht von der sittlichen Empörung einiger literarisch gebildeten Ackerknechte, die Kenntnis dieses Faktums war allerdings von unsren Biedermännern nicht zu verlangen.

Diese hinterpommerschen Empörer sind so bescheiden, daß sie, trotz ihrer "Einmütigkeit", die ihnen zu ganz andern Dingen Macht gibt, Knechte nach wie vor bleiben wollen und "ein Taler Taglohn" der höchste Wunsch ihres Herzens ist. Ganz konsequent katechisieren sie daher nicht den Gutsherrn, der in ihrer Gewalt ist, sondern der Gutsherr katechisiert sie.

Der "sichere Mut" und das "kräftige Selbstgefühl des Hausknechts" äußert sich auch in der "sichern" und "kräftigen" Sprache, die er und seine Genossen verführen. "Etwa - I nun - die Menge muß es bringen - artiges Sümmchen - mein bester alter Herr - immerhin." Schon vorher in der Proklamation hieß es: "erforderlichenfalls wohl ei - Wir denken herzustellen - wohl - vielleicht, etwa usw." Man meint, die Ackerknechte hätten ebenfalls das famose Roß Clavileno besiegen (Note 72).

Die ganze lärmende "Empörung" unsres Sancho reduziert sich also in letzter Instanz auf einen Turnout, aber einen Turnout im außergewöhnlichen Verstande, nämlich einen berlinisierten Turnout. Während die wirklichen Turnouts in zivilisierten Ländern einen immer untergeordneteren Teil der Arbeiterbewegung bilden, weil die allgemeinere Verbindung der Arbeiter untereinander zu andern Bewegungsformen führt, versucht Sancho, den kleinbürgerlich karikierten Turnout als letzte und höchste Form des welthistorischen Kampfs darzustellen.

Die Wogen der Empörung werfen uns jetzt an die Küste des gelobten Landes, da Milch und Honig fließt, wo jeder echte Israelit unter seinem Feigenbaum sitzt und das Millennium <Tausendjährige Reich> der "Verständigung" angebrochen ist.